Der Jakobsweg über die Vía de la Plata:
Zu Fuß durch den wilden Westen Spaniens

  Ein gelber Pfeil weist auf der Via de la Plata den Weg nach Santiago. Foto: Ursula Pfennig
  Gelbe Pfeile weisen den Weg.
Via de la Plata. Foto: Ursula Pfennig
Die Vía de la Plata in der Extremadura.

Iberisches Schwein - Via de la Plata. Foto: Ursula Pfennig
  Schwein am Wegesrand

  Zafra, Plaza Grande. Foto: Ursula Pfennig
  Zafra, Plaza Grande.

Stier
Das Vieh hat ältere Rechte auf dem Weg.

Wetter und Wein
Weinstöcke unterm Gewitterhimmel.

Hotel La Fabrica
Llerena, Hotel La Fábrica

Hotel la
Llerena, Hotel la Fábrica

Hinter Zafra
Zwischen Zafra und Villafranca de los Barros

Oliven
Oliven

Herberge
Pilgerherberge in einer alten Ölmühle

Ölmühle
Ölmühle innen


Schnurstracks durch die Tierra de Barros

Weinstock
Weinstock

Tierra de Barros
"Barros" heißt "Lehm"


Rastplatz!

Pilgerherberge
Herberge in Torremejía

Mérida, Römische Brücke

Mérida
Römisches Theater in Mérida

Stier


Schwein

Weg bei Aljucén


Cañada


Korkeiche

Schweineherde

Iberisches Schwein

Caceres
Mittelalter-Festival in Cáceres

Caceres. Mittelalterfestival
Cáceres, Mittelalter-Festival


Hinter Cáceres


Cañaveral


Bei Cañaveral


Blick auf Cañaveral


Am Wegesrand


Eichel


Baumruine


Gepflasterter Pfad


Üppiger Mittelmeerwald


Uralte Korkeichen


Korkeichenwald


Blick Richtung auf Cañaveral


Die Frucht des Erdbeerbaums

Der Stausee von Alcántara


Der Pfad führt immer höher.


Vorbei an Korkeichen


Der Club - hier im Tageslicht

Dämmerung in der Dehesa

Nicht über die Steine stolpern!

Am nächsten Tag sind die Pfeile gut zu sehen.


1 km bis zur Herberge. Ich war kurz vorm Ziel.


alle Fotos: Ursula Pfennig


Reisetagebuch - Überblick

1. November 2010 - Fehlstart!
3. November, Düsseldorf - Madrid - Llerena
Die Annäherung
4. November, Zafra - Almazara (Villafranca de los Barros) - Genusspilgern zur Ölmühle
5. November, Villafranca de los Barros - Torremejia
Zwischen Weinstöcken
6. November, Torremejía - Aljucen

7. November, Aljucen - Alcuescar
8. November, Alcuescar - Aldea del Cano
Durch Steppen und Dehesas
9. November, Aldea del Cano - Cáceres
Triumphaler Einzug
10. November, Cáceres - Cañaveral

Irrwege im Dunkeln
11. November, Cañaveral - Grimaldo
Vorläufiger Endspurt 

Reisetagebuch

1. November 2010 - Fehlstart
Fehlstart! Nach fast acht Stunden am Flughafen Düsseldorf bin ich gestern Abend wieder nach Hause zurückgekehrt. Der Flug mit Iberia nach Madrid war wegen eines technischen Defekts ausgefallen. Nachdem wir unsere Koffer wieder abholen durften, hieß es am Ticketschalter, Geduld zu wahren. Keine Entschuldiugen, keine Erklärung, kein Getränk. Gestern ging gar nichts mehr, am Folgetag nur wenig. Ich werde nun morgen früh den nächsten Versuch starten.  

Über rund 1000 Kilometer führt die Vía de la Plata von Sevilla nach Santiago de Compostela. Während sich auf dem berühmten "Französischen Weg" im Norden Spaniens die Pilger mittlerweile stapeln, findet man auf dem Jakobsweg durch den Westen Spaniens noch Ursprünglichkeit und Einsamkeit.

Im Frühjahr bin ich auf der Vía de la Plata bereits von Sevilla in Andalusien nach Zafra in der Extremadura gewandert. Allein und zu Fuß über 130 Kilometer. Ein tolles Erlebnis! Obwohl ich als Studentin in der Extremadura gelebt habe, bin ich nie so tief in diese einsame, raue Landschaft eingetaucht. Einige Eindrück schildere ich hier.

Nun soll es also von Zafra aus weitergehen. Ich habe noch etwa eine Woche Zeit. Morgen fliege ich (hoffentlich!) nach Madrid und nehme von dort aus den Überlandbus nach Llerena. Das liegt zwar nicht an der Vía de la Plata, aber dort habe ich etwas zu erledigen. Am Donnerstagmorgen lege ich dann die letzten 50 Kilometer nach Zafra wiederum mit dem Bus zurück. Wie gut, dass es in Spanien ein so gut ausgebautes und zuverlässiges Busnetz gibt, mit dem man auch entlegene Orte erreicht. 

Und dann darf ich endlich wieder zu Fuß gehen. Die "Tierra de Barros" liegt vor mir, wörtlich übersetzt "Lehmerde". Das fruchtbare Weinbaugebiet ist unter Pilgern allerdings weniger beliebt als berüchtigt. Die schnurgerade Piste führt über zig Kilometer durch Weinstöcke, Weinstöcke und Weinstöcke. Bei Sonne gibt es keinen Schatten, bei Regen klebt der Lehm zentimeterdick unter den Sohlen. Sagt man. Ich werde sehen - und davon erzählen, sobald ich unterwegs einen Internetanschluss und die Muße finde

 

3. November, Düsseldorf - Madrid - Llerena
Blauer Himmel, fantastisch klare Sicht im Morgenlicht ueber Spanien. Dank des Fehlstarts gestern gab es ein Business-Upgrade. Ich bin etwas neidisch auf den iPad neben mir, aber dafuer habe ich den Blick aus dem Fenster. Ich sehe die Pisten und stelle mir vor, dort unten unterwegs zu sein. Schaetze die Entfernungen zwischen den Doerfern, sehe steile Gelaendestufen, Schnee auf den Gipfeln der Sierra. Dunkelrot die entbloesste Erde, tiefblau die Stauseen, gruengrau die vertrockneten Waelder. Das ist nicht Google Earth, das ist echt. Ich werde es zu spueren kriegen. Bin schon etwas aufgeregt.

 

4. November, Llerena - Zafra - Almazara bei Villafranca de los Barros
Genusspilgern in der Tierra de los Barros: Man trinke eine Wein von hier (den schweren Roten aus Villafranca de los Barros), picke dazu einige Oliven (die gestossenen, die man bei uns nicht bekommt, vor wenigen Wochen geerntet, mit dem unvergleichlich fruchtigen, fast schon pfeffrigen Aroma), probiere noch ein paar Ecken des augezeichneten Kaeses, und mache es sich danach auf dem Fuss eines Olivenbaums bequem, der schon einige hundert Jahre auf dem Buckel hat. Dann warte man, bis die Wirkung des Weines wieder nachlaesst und spiele etwas an den Fuessen. Schliesslich wollen die Meridiane stimuliert sein fuer die 30 Kilometer, die morgen auf dem Programm stehen.

Ich bin in der Herberge La Almazara bei Villafranca de los Barros, einer ehemaligen Oehlmuehle zwischen uralten Olivenbaeumen. Eigentlich haette ich noch gut weitergehen koennen, es war noch frueh am Nachmittag, als ich hier eintraf. Aber der Ort war einfach zu schoen, um hier nur einen Kaffee zu trinken. Im Mai diesen Jahres wurde die alte Muehle nach drei Jahren wiedereroeffnet. Pedro, der jetzige Paechter, hat sie mit viel Liebe zum Detail renoviert. Wo frueher die Esel den schweren Muehlstein im Kreis drehten, sitzt man heute auf bequemen Polstern und schaut ins Kaminfeuer. Es gibt mehrere stilvolle Speisesaele, gastliche Innenhoefe, nett eingerichtete Dreibettzimmer mit Heizung und Federbetten, zum Teil auch mit eigener Dusche und Terrasse. Da ich der einzige Uebernachtungsgast bin, muss ich den Komfort nicht einmal teilen. Und das alles fuer 12 Euro, inklusive Fruehstueck.   

Auch letzte Nacht, in Llerena, habe ich stilvoll genaechtig. Dort war es - zwischen Kornfeldern - eine ehemalige Getreidemuehle. Die Muehlen waren hier draussen die prachtvollen Zentren der Agrarwirtschaft. Die Oehlmuehle von Llerena ist heute eine Industrieruine, die dem Ruhrgebiet zu Ehre reichen wuerde, inklusive zerbrochenen Fenstern im Kathedralen-Format und turmhohem Speicher aus juengerer Zeit. Innen dann - im renovierten Teil - das kleine Palastprogramm mit Gewoelben, Fresken, Patios. Hier wurde das 'Hotel Rural la Fábrica' eingerichtet.

Und der Weg dazwischen? Das war das beste. Der erste gelbe Pfeil in Zafra, und dann das Gefuehl, mich von den eigenen Fuessen hinauszutragen lassen in diese unendliche Landschaft mit dem riesigen, blauen Himmel darueber. Zwischen Olivenbaemen, Weinstoecken und kahlen Getreidefeldern hindurch nach Los Santos de Maimona. Ein Rast in einer Bar, und dann weiter. Bis hierhier waren es etwa 13 Kilometer, das ist nicht viel. Aber es reicht, um mich auf morgen zu freuen. Die Wettervorhersagen versprechen weiterhin bestes Wanderwetter. Koeente eher zu heiss als zu kalt werden.      

5. November, Villafranca de los Barros - Torremejia
Weinstoecke links, Weinstoecke rechts, und dazwischen immer schnurstracks geradeaus. Im Nacken die Sonne, ungewoehnlich heiss war es heute fuer diese Jahreszeit.

Hinter Villafranca schlaengelte sich der Weg noch anmutig zwischen Mischkulturen - Wein und Oliven. Starke Persoenlichkeiten, diese alten Weinstoecke, aehnlich den alten Oelbaeumen. Doch bald ging es dann wirklich geradeaus. Auf derselben Trasse marschierten damals die roemischen Legionaere. Es ist weit, aber laengst nicht so eintoenig, wie ich es mir vorgestellt hatte. Zwischendurch immer wieder ein paar Oliven, und viele Arbeiter - es ist Weinlese. Ich plaudere mit einer rumaenischen Familie. Die Jungs - so um die 16 - staunen mich mit offenem Mund an. Und auch die Eltern verstehen es nicht. Warum laufe ich? Warum nicht besser auf der Landstrasse? Warum hier in Spanien, wo es doch in Deutschland viel schoener ist?

Auch auf der langen, geraden Piste dauert es, bis die Gedanken sich verfluechtigen, die Stimmen im Kopf zur Ruhe kommen. Doch so nach etwa drei Stunden hoert es dann auf, und ich vergessen, dass ich laufe, was gestern war und morgen sein wird. Das ist es. Grenzenlos. Ganz gross, ganz klein, ganz im Moment.

Und dann ein Fleckchen vom Paradies. Ein richtiger Laubbaum, stattlich, mit tiefhaengenden Zweigen und einem Stueckchen saftig gruenem kuscheligen Gras darunter. Ich suche schon eine ganze Weile einen Platz zum Rasten. Der ist es. Eine Orange, ein Stueck Kuchen, etwas Wasser. Und dann lege ich mich hin, mache es mir richtig bequem, doese, nicke ein, doese weiter. Es ist nicht mehr weit bis Torremejia, ich habe Zeit. Welch ein Luxus, einfach unter einem Baum zu liegen. Kein Mensch weit und breit. Nur der Himmel, der Lehm ringsum, Sonne und Schatten, etwas Wind, ein kleiner Vogel. Und ich.

Relativ entspannt komme ich in Torremejia an. So entspannt, dass mir ein Mann, den ich nach der Herberge frage, nicht glaubt, dass ich gelaufen bin. Torremejía ist ein richtiges spanisches Dorf, stark landwirtschaftlich gepraegt. Die Herberge ist diesmal ein ehemaliger Palast. Und wieder bin ich die einzige Pilgerin hier.     

 

6. November, Torremejía - Aljucen 

7. November, Aljucen - Alcuescar

8. November, Alcuescar - Aldea del Cano
Durch Steppen und Dehesas

Da bin ich wieder. Im Rathaus von Aldea del Cano gibt es eine Bibliothek mit oeffentlichem Internet.

Falls im deutschen Fernsehen spanischer Schnee gezeigt wird: So schlimm ist es hier nicht. Es weht ein scharfer Wind aus Nordwesten, dazu feiner Nieselregen. Meine gefuetterte Hose, die Armstulpen und den Regenponcho habe ich also nicht umsonst mitgenommen, aber es ist ertraeglich. Zumal mir die 17 Kilometer heute wie ein Spaziergang vorkamen.

Es juckte mich, weiter zu gehen. Aber dann haette ich bis Cáceres laufen muessen, und das waeren ueber 45 km gewesen. So ungefaehr. Meinen Reisefuehrer habe ich in Aljucen verloren. Geht auch ohne, dank gelber Pfeile. Nur ist es manchmal beruhigend, zu wissen wo man ist.

Ich erlebe jeden Tag so viel. Wo fange ich an? Okay, bei den Schweinen. Ganz spezielle Gruesse! Sie waren wieder so witzig! In einer herrlichen Dehesa vor Aljucen war eine ganze Herde schwarzer Iberischer Schweine unter Korkeichen unterwegs, also ohne Zaun oder Mauer zwischen ihnen und mir. Erst waren sie etwas scheu, liefen vor mir weg und zeigten mir ihren schinkenprallen Hintern. Als ich aber schliesslich abbog und mich niederhockte, um sie ein wenig anzuschauen, wurden sie neugierig. Draengelten und grunzten ein bisschen herum, schnueffelten an den Pilzen (Fressen geht immer vor - aber die da schienen gar nicht ihr Geschmack) und schoben sich dann eins nach dem anderen an mir vorbei, um einen Blick in meine Linse werfen.

Um bei den Viechern zu bleiben: Auch einen Stier gab es auf dem Weg. Ein kraeftiges Buerschchen mit imposanten Hoernern. Aber ich dachte mir, wenn der da so frei rumlaeuft, wird er schon nicht gefaehrlich sein. Ausserdem stand er nicht direkt auf dem Weg, sondern zwei Meter daneben. Und als ich wieder Schweine hinter der Mauer entdeckte - und die mich - habe ich den Stier in meinem Ruecken fast vergessen. Dehesas sind Stein- oder Korkeichenhaine, die mit ihrem lichten Baumbestand an eine Parklandschaft erinnern. Wie gemalt! Ich freue mich immer, wenn auch einem Tor wegen der frei laufenden Tiere darum gebeten wird, das Gatter unbedingt sorgfaeltig zu schliessen.

Es sind die schoensten Wegabschnitte. Vor allem, wenn es wie hinter Mérida durch eine huegelige Landschaft geht, in der drei Meter Granitbloecke wie Riesenmurmeln herumliegen. Wollsackverwitterung vom Feinsten. Dazwischen ein Weg aus leuchtend weissem Sand. Der Granit enthaelt viel Quarzit. Die Dehesas sind wie eine Belohnung fuer die anderen, haerteren Abschnitte.

Zum Beispiel die langen, geraden Pisten durch Getreidefelder. Oder entlang einer Rinderweide. Ich meine: einer kilometerlangen Rinderweide, auf der eine Herde parallel zu mir zur naechsten Wasserstelle zieht. Erinnert mich an Fernsehbilder aus Cowboyfilmen. Zufaellig war die Wasserstelle genau dort, wo ich schliesslich auch beschloss, eine Pause zu machen. Auf einer roemischen Bruecke, an einem roemischen Meilenstein (XIXX). Im Regenponcho, aber es fieselte nur noch ganz wenig. Und ueber mir kreiste ein Dutzend Geier. Kurz zuvor hatte ich noch ein blitzeblankes Skelett gesehen, die leisten hier saubere Arbeit. Die Geier kamen ganz nah, direkt ueber meinem Kopf drehten sie wieder ab. Wollten die gucken, wie es mir geht? Aetsche! Prima!    

 

9. November, Aldea del Cano - Cáceres

Cáceres!!!

Das haette ich mir nicht traemen lassen, damals, vor 21 Jahren. Als ich hier als Studentin oben an der Wallfahrtskirche Ermita de la Virgen stand und auf das trockene karge Land rundum blickte, fand ich es undenkbar, auch nur einen Spaziergang da draussen zu machen, in dieser brutal menschenfeindlichen Steppe. Okay, ich war im Sommer hier. Und meine spanischen Freunde kamen auch nicht auf eine solche Idee. Aber trotzdem ...

Die Ankunft in Cáceres ist, denke ich, auch etwas Besonderes, wenn man keinen Bezug zu dieser Stadt hat. Wegen der kargen Felder ringsum sieht man die Stadt bereits Stunden vor der Ankunft. Zunachest die Hochhaeuser ringsum, dann die Tuerme der monumentalen Altstadt. Der Weg fuehrt durch ein altes Gewerbegebiet, an neuen Ministerien und Krankenhaeusern vorbei auf die Altstadt zu. Dann steil bergauf in die Altstadt.

Hier kannte ich mich schliesslich aus. Plaza San Francisco, Plaza San Mateo. Zwischen den Palaesten hindurch zur Plaza Mayor. Hier wollte ich ankommen, eine Cafe auf der Plaza trinken. Aber es blieb beim Blick auf die Plaza. Eine Baustelle, ganz und gar aufgerissen, nach allen Seiten abgeriegelt. Meine Plaza! Ich hoffe, sie stellen wenigstens etwas Schoenes damit an. Habe so meine Befuerchtungen...

Habe mir ein nettes Hotel gegoennt, das Hotel de Don Carlos. Super zentral zwischen Altstadt und Fussgaengerzone (und Plaza Mayor...), sehr gepflegte und schoen eingerichtete Zimmer, netter Service. Nur zwei Sterne, aber insgesamt niveauvoller als viele Vier-Sterne Hotels. Fuer etwa 40 Euro. Luxus: ein Bad, ein bequemes, grosses Bett, ausgiebige Koerper- und natuerlich vor allem Fusspflege ... Und dann eine kleine Shopping-Tour. Fuer eine Provinzhauptstadt sind hier ganz nette Laeden.

Der Weg heute ist mir nicht leicht gefallen, obwohl es nur 22 Kilometer waren. Dabei hatte ich Glueck: kein Regen, nur ein scharfer, kalter Gegenwind. Trotzdem war es klasse. Dieses Cowboy-Feeling in der menschenleeren Steppe. Sich dort irgendwo neben einen Ginsterbusch zu legen. (Was haben die Cowboys eigentlich gegessen? Hatten die Brot dabei? Man kann ja nicht immer Steak uebers Feuer halten.)

Heute habe ich wirklich keinen Menschen auf dem Weg getroffen. Naja, die Nationalstrasse war nicht weit, man hoerte sie fast die ganze Zeit. Aber das hat mich nicht sehr gestoert. Ich fand den Wind, die Adler, das Skelett vom toten Schaf realer.

Den Einzug in die Stadt habe ich mit einem schoenen, blumigen Weisswein aus der Sierra de Gatos zum Salat mit Stockfisch, Orangen und Oliven und Schinken vom Iberischen Schwein gefeiert. Also,.. ehrlich gesagt bin ich schon etwas beschwippst.  

10. November,
Cáceres - Casar de Cáceres und Irrwege bei Cañaveral
Die Nacht. Ich habe keinen Hunger mehr gespürt, auch nicht die Beine. Ich hatte Angst. Ruhig, Ursula! Keine Panik, sonst wirst du stolpern. Bleib ruhig, konzentriere dich. Im schlimmsten Fall wirst du hier in der Dehesa übernachten und frieren. Na und? Du wirst es überleben, so kalt ist es nicht. Es regnet nicht einmal.

Das Gute an so einem Pilgerweg ist, dass man immer weiß, was man am nächsten Tag zu tun hat: Weitergehen, immer dem Weg nach. Ob es jetzt links rum etwas kürzer oder rechts rum etwas hübscher ist, spielt keine Rolle. Man muss sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob man heute  vielleicht heute eher Lust auf größere Städte oder kleinere Dörfer hat, auf Rinder oder Schweine. Der Weg ist vorgegeben. Und - oh Wunder! - irgendwie passt es dann immer auch.

Prompt wurde es chaotisch, als ich anfing zu überlegen, was ich denn nun tun soll. In Cáceres angekommen, blieb mir noch ein voller Tag. Am übernächsten Tag musste ich nach Llerena zurück, mit dem Bus. Sollte ich es mit Cáceres gut sein lassen? Das Hotel Don Carlos war wunderschön, und die Stadt ist es sowieso.

Oder doch noch weiter bis zum Stausee von Alcántara laufen? Angeblich gab es da auch eine Busstation in der Nähe - und die Herberge dort, ein futuristischer Neubau, soll einen spektakulären Ausblick über den See bieten. Aber hat sie geöffnet? Im Internet sind Öffnungszeiten bis Ende Oktober angegeben, auf meine Anrufe hin meldete sich niemand.

Ich war unentschlossen, ließ mir Zeit, schlief aus, frühstückte lange. Doch zurück in meinem Zimmer, lachten mich die Schuhe an. Das Wetter war wieder fantastisch. Ach, Städte bekomme ich noch genug. Raus! Weiter! Wenigstens die 11 km bis zum nächsten Dort, Casar de Cáceres.

Ich lief los. Es machte mir gar nichts aus, dass ich zunächst einige Kilometer an der Landstraße entlangtrotteln musste. Klar ist es schöner auf einsamen Wegen unter Steineichen - aber die Leute in den Autos haben es doch viel schlechter. Für die ist es auf der Straße genauso langweilig, und die sind nicht mal draußen, sehen diesen fantastischen Himmel nicht.

Ich traf zwei Wanderinnen, die aus Madrid kamen und ein Stück auf der Vía liefen, bevor sie nach Portugal abbogen. Wow! Sie erzählten mir, dass die Herberge am Stausee geöffnet ist, und dass sie wirklich sehr schön sei.

Als ich in Casar de Cáceres ankam, war es zu spät um noch die Strecke bis zum Stausee - rund 22 km - anzugehen. Das Risiko, dass ich in die Dunkelheit hineingerate, war zu groß. Busse fuhren von dort aus nur nach Cáceres zurück, von dort käme ich weiter Richtung Norden, sagte man mir. Also fuhr ich zurück nach Cáceres und wartete dort auf den nächsten Bus nach Cañaveral.

Um kurz nach vier traf ich in Cañaveral ein. Bis zum nächsten Ort - Grimaldo - waren es etwa 10 km. Gut zwei Stunden blieben mir bis zur Dunkelheit - zu wenig. Also beschloss ich, dort das Hostal Málaga zu beziehen und am nächsten Morgen noch eine Etappe bis Grimaldo anzuhängen. Dort müsste ich den Bus um 11.25 h bekommen, um dann in Cáceres den Anschluss nach Llerena zu erwischen.

Aber ich war so wenig gelaufen heute! Cañaveral liegt spektakulär schön. Hinter dem Dort steigt die Sierra an, zu seinen Füßen blickt man über die weite Ebene und den Stausee. Ich warf schnell den großen Teil meines Gepäcks ab und brach mit Tagesgepäck - Geld, Papier, Flies, Wasser - zu einem Spaziergang auf.

Ein Schild "Villa Rural, 3 km" lockte mich. So schön war mein Hostal nicht, sollte ich mir diese Villa mal anschauen? Vielleicht noch einmal ein bisschen Luxus, ein besonders schönes Landhaus hier oben als letzte Unterkunft. Auf der Plaza Mayor war kein weiteres Schild zu entdecken. Weil's so schön war, zog es mich bergauf. Am Rand des Dorfs fragte ich einen Jungen, wie ich wohl zu dieser Villa Rural käme. Er sagte mir, dass ich wieder hinuntergehen solle, zur Plaza Mayor. Aber dort oben herum, über die Berge, gäbe es auch einen Weg. Wäre aber weit. Und es wäre leicht, sich dort zu verirren. Er riet mir ab, beschrieb mir den Weg aber trotzdem. Was soll's? Sagte ich. Wenn ich diese Villa nicht finde, kehre ich halt um. Wichtiger als die Villa war mir ein schöner Spaziergang. Und dort hinauf sah es wirklich nach einem schönen Spaziergang aus!

Wie der Junge beschrieben hatte, zweigte in einer Rechtskurve der Straße ein Pfad ab, der geradeaus steil nach oben führte! Ein traumhafter Pfad! Ha, ich bin die einzige, die die wahre Vía Plata entdeckt hat! Buschwerk überwucherte den Pfad. Welche Artenvielfalt! Lauter duftende Kräuter, rote und organgefarbene Früchte leuchteten. Madroños, die Früchte des Erdbeerbaums? Ich probierte eine. Köstlich süß und saftig. Aber ganz sicher war ich mir nicht. Noch ein zweite, aber besser nicht mehr. Eine Gruppe aus riesiegen uralten Korkbäumen, wie im Märchen.

Mir war klar, dass dieser Pfad bergab schwieriger werden würde, vor allem, wenn die Dämmerung einbricht. Der Junge hatte gesagt, dass ich am Ende des Pfades links abbiegen müsste. Und dann ging es tatsächlich links herum. Ich ging weiter. Wenn ich zur Villa Rural käme, wäre der Weg zurück einfacher. Der Weg führte weiter, mündete auf ein Piste. Oder hier erst links ab? Ich probierte es aus. War nun schon auf der anderen Seite des Bergkamms. Vielleicht könnte ich ja an der nächsten Biegung etwas sehen. Das Landhaus, oder vielleicht auch schon Grimaldo. Ich könnte dort übernachten, hatte zwar keinen Schlafsack dabei, aber die meisten Herbergen haben ja Decken. Und um 18.55 h ging auch noch ein Bus zurück nach Cañaveral. Nach ein, zwei Kilometern konnte ich jedoch immer noch nichts anderes sehen als Pinienwaelder. Besser umkehren.

Hinauf zum steinigen Pfad? Vielleicht führte die Piste ja geradewegs zu der Straße, die ich verlassen hatte, bevor ich in den Pfad eingebogen war. Nur ein wenig weiter. Kurz darauf ein Schild: Ruta Cañaveral - Grimaldo. Na also! Der Weg würde mich zur Straße zwischen Cañaveral und Grimaldo führen - der sicherste Weg zurück.

Ich lief und lief. Immer wieder eines dieser Schilder. Wahrscheinlich führte diese Piste nicht zur Straße zwischen den beiden Orten, sondern ich war schon auf dem Weg von Cañaveral nach Grimaldo.

Dann ein vertrauter Granitblock - die Vía de la Plata. Rechts oder links? Zurück nach Cañaveral oder weiter nach Grimaldo? Hauptsache irgendwo ankommen, bevor es dunkel wird. Grimaldo schien mir naeher. Vielleicht wuerde ich ja noch den Bus bekommen.

Haette ich doch bloss die Wegbeschreibung dabei. Da stand irgendetwas von einem besonders schweren Abschnitt. Wo war das? Wenig spaeter fuehrte der Weg auf die Landstrasse. Geschafft! Dort könnte mir nichts mehr passieren. Zur Not würde ich ein Auto anhalten. Oder eben an der Landstraße zurück gehen.

Aber als ich aus dem Wald heraustrat, stand dort - mitten in der Pampa, ausgerechnet hier - ein rieseges Bordell. "CLUB" leuchtete es in grellem Neon. Verdammt schlechter Ort, um hier im Sonnenuntergang als veriirte Frau ein Auto anzuhalten. Oder auch an der Straße entlangzudackeln. Die Tür stand zwar offen, aber dort hineinzugehen und nach dem Weg zu fragen, schien mir auch keine gute Idee. Also weiter. Noch war es schließlich nicht ganz dunkel. Ich könnte es schaffen. Er innerte mich auch an das Profil. Das muesste "Los Castaños" sein - das war viel naeher an Grimaldo als an Cañaveral, meinte ich mich zu erinnern. 

Kurz hinter dem Parkplatz - der Kettenhund kläffte wie blöd - ein Gatter mit dem Schild, dass ich eigentlich so sehr liebe: Frei laufendes Vieh, Tor bitte schließen! Diesmal wäre mir eine öde, gerade Asphaltpiste lieber gewesen, als ein verschlungener Pfad durch die Dehesa. Immerhin war die Straße nicht weit, ich konnte die Lichter der Autos schräg über mir sehen. Zur Not würde ich dort hinaufgehen und doch an der Straße entlang nach Grimaldo kommen.

Hatte ich meine Taschenlampe dabei? Ja, gottseidank. Nur ein Schlüssellochlämpchen, aber immerhin.

Es war übrigens eine sehr schöne Dehesa. Kokreichen, darunter Zistrosenbüsche. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Aber bald. Noch ein letztes, schwaches Aufleuchten, als sie unter den Steineichen hindurchschien. Dann erlosch das Zwitschern der Vögel. wie ausgeknipst. Stockstill. Die Straße verschwand in einem Tunnel.

Weiter, schnell. Noch war der Pfad zu erkennen, ein schwacher heller Streifen. Mehr eine Ahnung, aber immerhin. Es war Neumond, nur eine ganz schmale Sichel stand am Himmel. Und Sterne. Wegen der fehlenden Städte hier ist der Sternenhimmel fantastisch. Und die Dunkelheit perfekt.

Weiter, schnell. Ich konnte einen Berg vor mir erkennen. Dahinter musste Grimaldo liegen. Nur noch diesen Hügel. Zuvor ging es jedoch bergab. Es gurgelte, plätscherte. Nicht auch das noch! Jetzt kein Bach!

Es war ein Bach. Vielleicht zwei, drei Meter breit, mit kleinen Trittsteinen. Schon tagsüber muss ich Luft holen, bevor ich mich traue, über solche Steine zu hopsen. Aber jetzt im Dunkeln? Ich versuchte es. Unmöglich, gleichzeitig zu springen und die Taschenlampe ruhig zu halten. Also Schritt für Schritt. Auf dem zweiten Stein rutschte ich aus. Ich stürzte nicht. Aber ich war mir sicher, dass ich nicht heil über diesen Bach kam. Das wars. Zurück.

Doch ich finde den Weg nicht mehr. Find den Bach nicht mehr. Stehe vor eine Mauer. Stolpere über einen umgestürzten Baum.

Ruhig! Atmen! Konzentration! Wenn ich an der Mauer entlang gehe, muss ich entweder zum Bach oder zu einem Ausgang kommen. Es ist jetzt eh dunkel. Du hast Zeit. Du hast deinen Flies dabei. Du hast Wasser dabei. Schlimmstenfalls musst du hier übernachten, aber du wirst weder erfrieren noch verdursten.

Ich finde den Ausgang. Jetzt schräg links hoch, da muss die Straße sein. Ich taste mich mit meinem Lämpchen zwischen den Bäumen hindurch. Eine weitere Mauer. Finde wieder einen Durchgang, stoße auf eine Piste, eine weiter. Ich stolpere. Ruhig, langsam. Lichter! Weiter darauf zu, da ist die Straße.

Verdammt. Ich stand unter eine Autobahnbrücke. Erstens kam ich hier nicht hoch. Zweitens wollte ich nun wirklich nicht des Nachts über eine Autobahn tapern. Also zurück. Irgendwie den Weg wiederfinden. Irgendwie zum Puff finden.

Ich taste mich durch die Jara. Achte auf die großen Stolpersteine. Finde Viehtritte, hoffe immer wieder, dass das endlich der Weg ist. Immer schräg bergab, in der Hoffnung auf den Weg. Leuchte die Bäume nach gelben Pfeilen ab. Fast meine ich, den Weg gefunden zu haben.

Plötzlich springt ein riesiges schwarzes Vieh neben mir auf. Ein Stier. Oder eine Kuh. Tagsüber sind sie ja friedlich. Aber was weiß ich, wie solch ein Vieh reagiert, wenn ich ihm mit meiner Laserfunzel in die Augen leuchte? Eine ganze Herde liegte da herum, ich stehe mittendrin, stolpere fast über ein Rind, das genau vor mir liegt. Ich halte meine Lampe flach und seh zu, dass ich wegkomme.

Weiter. Ich finde den Weg. Finde Pfeile. Finde zurück zum Bordell. Der Hund kläfft wieder. Die Tür steht noch offen. Ich gehe rein.

Die Damen in Arbeitskleidung lungern um einen Billardtisch herum. Ein Mann kommt ganz aufgeregt auf mich zu. Sieht erschrockener aus, als ich da draußen. Ich müsse raus hier, der Zutritt wäre für Frauen absolut verboten. ich erkläre ihm, dass ich ich mich verlaufen habe und er mit bitte ein Taxi rufen solle. Er schiebt mich in einen Nebenraum und schickt eine der Damen. Die ruft mir ein Taxi, handelt auch einen Preis aus. Ich warte draußen. Das Taxi kommt bald darauf, bringt mich zurück ins Dorf. Um kurz vor neun bin ich wieder in meinem Hostal. Pünktlich zum Essen.

11. November, Cañaveral - Grimaldo

Am nächsten Tag bin ich die Strecke noch einmal gelaufen. Der Weg von dem Bordell bis zum Fluss war weiter, als ich gedacht hätte. Gleich hinter dem Bach stand ein Schild: Grimaldo, Herberge, Bar, 1 km. Es ging rechts ab, unter der Autobahnbrücke hindurch. Gleich dahinter waren die ersten Häuser. Aber es war es richtig gewesen, umzukehren. Der Weg war nicht einfach zu finden, und ich hätte noch einmal den Bach überqueren müssen. 

Tagsüber habe ich nur zwei Stunden gebraucht, für 10 km mit heftig steiler Steigung. Ich habe mich so beeilt, weil ich Sorge hatte, den Bus zu verpassen. Am Abend zuvor war ich etwa vier Stunden unterwegs und habe schätzungsweise 15 Kilometer zurückgelegt, vielleicht auch mehr mit den Umwegen und dem Hin und Her.

Zu schade, dass jetzt erstmal Schluss ist. Bin gerade so schön in Schwung.